Fünf Jahre und drei Monaten für Lina E.

    Prozess in Dresden:Fünf Jahre und drei Monate für Lina E.

    von Laura Kress
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    Er war einer der größten Prozesse gegen Linksextremisten, die es in den letzten Jahren gab. Nach anderthalb Jahren verkündete das Oberlandesgericht Dresden das Urteil gegen Lina E.

    Mitgliedschaft in einer linksextremistischen kriminellen Vereinigung und sechs Übergriffe auf Neonazis und mutmaßliche Neonazis - so lautete der Vorwurf der Bundesanwaltschaft. Als Kopf der Gruppe identifizierte sie die 28-jährige Lina E.. Nach fast 100 Verhandlungstagen hat das Oberlandesgericht Dresden die Studentin nun zu fünf Jahren und drei Monaten Haft verurteilt. Die drei weiteren Angeklagten müssen für bis zu drei Jahre und drei Monate ins Gefängnis.

    Brutale Attacke auf Kanalarbeiter

    Zu den 13 Opfern gehörten unter anderem der Betreiber einer Gaststätte in Eisenach, ein Treffpunkt der rechten Szene, NPD-Mitglied Cedric S. sowie eine Gruppe, die mit einer Reichsflagge unterwegs war.
    Besonders schwer wiegt der Staatsanwaltschaft zufolge eine Attacke auf einen Kanalarbeiter im Leipziger Stadtteil Connewitz, den die Gruppe so brutal zusammenschlug, dass Jochbein und Schädelknochen brachen. Der Grund: Er trug eine Mütze eines rechten Modelabels. Vor Gericht sagte der Mann, er habe sich von der rechten Szene schon lange losgesagt.
    ZDF-Reporter Thomas Bärsch in Dresden
    ZDF-Reporter Thomas Bärsch berichtet über das Urteil gegen Lina E., das am 31. Mai 2023 verkündet werden soll. "Wie das Gericht all das wertet", sei offen, denn die "Aussagen der Zeugen könnten unglaubwürdig sein“.31.05.2023 | 3:18 min

    Bundesanwaltschaft: "Gibt keine gute politische Gewalt"

    Gegen den Gaststättenbesitzer hat die Bundesanwaltschaft hingegen Anklage wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung erhoben, die es sich zum Ziel gesetzt hatte, Linksextremisten zu töten. Cedric S. wurde von der Verteidigung als "strammer Nationalsozialist" bezeichnet. Trotzdem betonte die Bundesanwaltschaft: "Es gibt keine gute politische Gewalt".
    Die Bundesanwaltschaft hatte eine noch längere Haftstrafe von acht Jahren gefordert. Als Beweise führte sie DNA-Spuren, abgehörte Telefonate und Fotos vom Tatort auf. Trotzdem: "Es gibt keine Satzung, kein Kassenbuch, keinen schmissigen Namen oder einen Gruppenchat", räumte selbst Oberstaatsanwältin Alexandra Geilhorn ein. Es fehle an einer "Smoking Gun" - einem Hauptbeweis.
    Der Vorwurf einer kriminellen Vereinigung stützte sich deshalb hauptsächlich auf die Aussage eines Kronzeugen, der selbst an einem der Angriffe beteiligt war, der linksextremen Szene aber inzwischen den Rücken gekehrt hat. Er berichtete, dass die Gruppe sich in Trainings auf den Kampf gegen politische Gegner vorbereitet habe.

    Verteidigung: Verhandlung wie Terrorprozess geführt

    Die Verteidigung plädierte hingegen wegen mangelnder Beweise in fast allen Anklagepunkten für einen Freispruch. Sie wies dabei die Vorwürfe nicht nur zurück, sondern warf der Justiz auch eine voreingenommene Ermittlung vor, nach dem Motto "Im Zweifel gegen den Angeklagten".
    Der gesamte Fall sei wie ein Terrorprozess geführt worden, sagte der Verteidiger von Lina E., Ulrich von Klinggräff. Lina E. war 2020 in Handschellen im Hubschrauber nach Karlsruhe geflogen worden und sitzt seit zweieinhalb Jahren in Untersuchungshaft. Verteidiger Einar Aufurth warf der Justiz außerdem vor, rechtsextreme Delikte weniger konsequent zu ahnden als linksextreme Delikte.
    Reportage zur linksextremen Szene in Deutschland:

    "Face-to-Face-Gewalt" statt Attentate

    Der Präsident des Bundesverfassungsschutzes, Thomas Haldenwang, ist der Meinung, man dürfe den Linksextremismus nicht unterschätzen. "Kleine, abgeschottete Gruppen innerhalb der gewaltbereiten Szene begehen akribisch geplante und oftmals äußerst schwere Gewalttaten", sagte er in einer Rede am 22. Mai in Berlin.
    Tom Mannewitz, Professor für politischen Extremismus an der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung, nimmt sowohl eine Zunahme als auch einen Wandel der Gewalt wahr. Statt Attentaten gegen öffentliche Institutionen beobachtet er nun zunehmend auch "Face-to-Face-Gewalt".
    Einen Vergleich mit der RAF hält Mannewitz aber für überzogen. "Man darf nicht vergessen: Die RAF hat Menschen ermordet - bei keinem der Angriffe in den letzten Jahren kann ich eine Mordabsicht erkennen", sagte er.

    Ausschreitungen in Leipzig befürchtet

    Die Polizei in Leipzig bereitet sich nun schon seit Wochen auf mögliche Ausschreitungen vor. Den für Samstag geplanten "Tag der offenen Tür" sagte sie ab. Denn bereits vor dem Urteil riefen Linksextreme am "Tag X" zu Demonstrationen auf und drohten: "Für jedes Jahr Knast gibt es ab sofort eine Million Sachschaden bundesweit".
    Die Autorin ist Mitarbeiterin in der ZDF-Redaktion Recht und Justiz.

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